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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

14. Filmfest Schleswig-Holstein - Augenweide

Kurz und knackig

Blicke auf neuere Filme beim Kurzfilmabend der Augenweide


Unter den 11 Kurzfilmen am Kurzfilmabend der Augenweide fanden sich vier Filme, die in infomedia-sh.de bisher nicht rezensiert wurden. Hier vier Kurzkritiken:
„Der Anner. Der Heimatfilm“
D 2009, 12 Min., Philipp Hartmann

Nach Hamburg (an die dortige Filmhochschule) hat es den Filmemacher Philipp Hartmann von seiner Geburtsstadt Karlsruhe verschlagen. Hier ist er „der Anner“, zu Hochdeutsch „der Andere“, wie die Badener jemand Auswärtigen, einen Fremden nennen. Idealer Anlass also, einen „Heimatfilm“ zu drehen. Ironisch, versteht sich, denn als Filmemacher ist man auch in Karlsruhe von Kindesbeinen an „der Anner“, Hartmanns Spitzname seit seiner Schulzeit. Heimat ist also da, wo er seine Kamera draufgehalten hat, weil die Kamera mit ihrer innigen Außenperspektive eben immer „ein Anderer“ ist, ganz bewusst ein (schalkhaft schauender) Außenseiter. Dieses mediale Grundgesetz nutzt Hartmann höchst humoristisch. Nicht nur, dass er sich (per gut kaschiertem, aber dennoch „trashig“ sichtbarem Split-Screen) gleich zweifach, sozusagen als Doppelselbstporträt und mit sich selbst im Badener Dialekt räsonnierend auf das Karlsruher Sofa setzt oder mit eincollagierten Schnappschüssen von Mama „ein Flüpperle raucht“. Hartmann hat auch seinen Fotoschuhkarton seit fühester Adoleszenz nach Schnappschüssen von sich und Freunden durchforstet, die er in rasch geschnittenen Fotofilm-Passagen einfügt. Das Familienalbum als Heimat. Heimat ist überall, wo die Kamera eigene Perspektiven festhält. Auch in Brasilien zum Beispiel, wo – wie in Hamburg – „de Mädele schön sin’, un’ de Leut’ a rauche“. Und wo er auf Guido traf, einen „Kallsruher“ am Amazonas. Heimat ist auch da, wo man sie gar nicht erwartet. Und einfach da, „wo man schwätze kann, wie einem der Schnabel gewachsen ist“. Oder die Kamera schnappschießt. Noch komischer, wenn „der Anner“ an der eigenen Legende bastelt und infolge eines Flugzeugabsturzes sogar in die „Tagesschau“ kommt, original (nach-) gesprochen von Jo Brauner. So witzig dieser Blick auf Heimat ist, so persiflierend, so ist er doch auch eine immanente Reflexion des Genres und des Mediums, was den Film über einen bloßen anarchischen Spaß weit hinaushebt.
Familienschaukel
D 2008, 5’19 Min., Tobias Wiemann

Überraschend anekdotenhafte Begebenheiten lassen sich im Kurzfilm besonders gut erzählen – in auf die Spitze getriebener Einheit von Raum und Zeit sogar ganz klassisch aristotelisch. Auf der Schaukel im Garten – man imaginiert: am Rande eines Familienfestes – sitzen Niels und sein Onkel Jürgen. Niels hat Sorgen und sucht Rat bei Jürgen. „Sag mal, Onkel Jürgen, hattest du schon mal etwas mit einer Frau, die schon vergeben ist?“ Denn Niels hat sich in Johanna, die Freundin seines Bruders Marten, verknallt. Da der Onkel keinen Rat weiß, hilft ihm Niels auf die Sprünge: „Stell dir mal vor, du wärest in meine Mutter Eva, die Frau deines Bruders verliebt.“ Und je mehr Niels dieses Szenario – „lediglich vergleichsweise“ – ausschmückt, umso deutlicher wird, dass Onkel Jürgen sich eine verbotene Liaison mit Eva nicht erst vorstellen muss, er steckt mitten drin. Tobias Wiemann, dessen Film 2009 beim Filmfest in Wismar premierte und dort vom Augenweide-Team entdeckt und nach Kiel eingeladen wurde, versteht es, durch die Dialogführung und im simplen Schnitt/Gegenschnitt-Verfahren auf der Schaukel die Familienschaukel (und ihre gegenseitigen Verschaukelungen) in Bewegung zu setzen. Ein kleiner Film, der ein großes Drama in nur fünf knackigen Dialogminuten skizziert.
Sonne
D 2009, 4’16 Min., Maria Reinhardt

Über das Frauenbild der Kiel/Hamburger Filmemacherin Maria Reinhardt ließe sich spekulieren: Auf der letzten Augenweide präsentierte sie ihr Musikvideo „Feelings Explode“ und verspeiste darin ihr männliches Gegenüber, statt es nur „zum Fressen gern“ zu haben. Im diesjährigen Musikvideo „Sonne“ zum gleichnamigen Song der Kieler Band Dog Eared Pages, geht das püppchenhafte und mit Petticoat nach Lovern backfischende Girlie den Kerls leider nicht aus der Sonne. Das Frauchen will gehätschelt werden, was Reinhardt raffiniert ironisch vor Pappkulissen, sozusagen potemkinschen Dörfern des Liebesrollenspiels, in Szene setzt. Poppig farbenfroh dazu. Zu Reinhardts Regie-Repertoire gehört auch, das Making of in den Film gleich teilweise zu integrieren – nicht zuletzt um satirische Distanz zu schaffen und uns auch die letzte Filmillusion, in der sie uns eben noch knallbunt wiegt, zu nehmen. Da bleibt die Bühne sichtbar Bühne und über ihr geht die Sonne des Musikvideos auf.
Baukran
D 2009, 4 Min., Christian Mertens

Musikvideos geben durch ihren genau definierten Verwertungszusammenhang zwar ein versatzstückhaftes Repertoire an filmischen Gestaltungsmitteln vor, gleichzeitig erweisen sie sich aber immer wieder als sehr offenes, experimentierfreudiges, wenn nicht sogar experimentierpflichtiges Genre. Zumal, wenn es sich der Liedermacher wie in Niels Freverts Song „Baukran“ (Video) sogar verbittet, ins Bild zu kommen. Christian Mertens ist ein erfahrener Werbefilmer, dort verdient er (zur Zeit noch) sein Brot. „Baukran“ dagegen, so sagt er, war ihm „eine Herzensangelegenheit“, weil ihn der Song, „obwohl ich den Text bis heute nicht genau verstehe, sehr berührt“ hatte. Lange musste er mit Frevert und dessen Label Tapeterecords ringen, um den Song „verfilmen“ zu dürfen. Frevert verwarf immer wieder Mertens’ Ideen, ließ ihm dann aber ganz freie Hand. „Mit geschlossenen Augen und Flattern in den Armen steh’ ich in der Gegend, alle Lichter an, auf Füßen aus Beton, wie ein Baukran“, betextet Frevert eine Situation des Zauderns, der Angst davor, einen notwendigen Schritt zu tun. Mertens erzählt dazu die Geschichte eines Jungen, der sich vor dem ersten Sprung vom Drei-Meter-Brett im Schwimmbad fürchtet, ihn sogar scheut, um dann doch noch zu springen ... Von der Umkleidekabine, wo ihn die anderen Jungen anfeuern, über den Horror der Höhe auf dem Sprungturm, die Hänseleien beim Verweigern des Sprungs bis zum befreienden Eintauchen ins neue Nass hat Mertens alle Schattierungen dieser „Mutprobe“ eingefangen – in die Furcht vor dem Sprung quälend dehnender Zeitlupe, in vorwiegend Nah- und Großaufnahmen, die zuweilen fast surreal anmuten. Entstanden ist eine filmische Metapher über einen Augenblick der Selbstüberwindung, in magischen Bildern, die bis in die minutiöse Farbgestaltung hinein den Song hochgespannt, ja packend – eben nicht nur – illustrieren.

(Weitere Infos, Links und Fotos zu den Filmen im Programm.)

(jm)