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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

13. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide

Vom K(r)ampf anders zu sein

„Rebellion auf dem Marktplatz“ (Heike Bettermann, Rainer Link, D 2008)

„Das ist ja ein Troll, total unernsthaft“, hört man eine Zuschauerstimme nach dem Dokumentarfilm „Rebellion auf dem Marktplatz – Holsteiner Punk-Bewegung in der Gemarkung Lütjenburg“ durchaus kritisch über dessen Protagonisten Rocko Schamoni. Bei einer Rückschau auf die Punk-Bewegung (die eigentlich schon eine Post-Punk-Bewegung war) hätte sich wohl mancher mehr (historisch dokumentierenden) Ernst gewünscht. Was allerdings der porträtierten Jugendkultur Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre im ostholsteinischen Provinznest Lütjenburg nicht gerecht würde, denn ihr Unernst ist konsequent.

Woher auch den Ernst nehmen? Ernst kann man nur etwas nehmen, wenn man wüsste, was überhaupt. Doch für Rocko Schamoni aka Ronny Dangerblood war die Zeit als „Dorfpunk“ „die Zeit, wo ich ufer- und grenzenlos war, ein einziges Fragezeichen“. Das einzige, was klar schien: „Wir wollten anders sein, uns komplett selbst erfinden.“ Zu diesem anders Sein gehörte somit auch, das anders Sein anders zu machen – und damit Humor. Diesen hat sich Schamoni bis heute bewahrt, so dass er sich bei den Interviews das Lachen über die eigenen Statements kaum verkneifen kann. Er ist einer jener Typen, die er wie folgt beschreibt: „Sie tragen eine extreme Widerborstigkeit in sich, und die kommt ihnen im Leben auch nicht mehr abhanden.“ So ist auch von den Weggefährten Peter Marxen, ehemals Betreiber des Hamburger „Onkel Pö“, oder Co-Dorfpunk „Fliegevogel“ in den Interviews kaum ein „ernstes“ Wort zu hören.



Fremdenführer durch ein vertrautes Land des anders Seins: Rocko Schamoni pflegt die Blumen auf dem Lütjenburger Marktplatz
Für einen Dokumentarfilm ist es natürlich ein Problem, vom Porträtierten für dessen eigene Dialektik des Diskurses funktionalisiert zu werden. Eine eventuell für das Dokumentarische zu reklamierende Distanz zwischen Beobachter und Beobachteten geht hier völlig verloren. Sogar so weit, dass die beiden Regisseure Heike Bettermann und Rainer Link selbst die Ankündigung des Films auf der Augenweide-Bühne zu einer „unernsten“ Performance machen. Gleichwohl ist der Film, indem er sich auf dem schmalen Grat zum Doku-Fake bewegt, so nah an seinen Porträtierten, wie es eben geht, wenn es zu deren Selbstdarstellung gehört, die Selbstdarstellung stets selbst zu konterkarieren. Entstanden ist somit ein Dokumentarfilm, der den K(r)ampf ums anders Sein, die Dissidenz selbst um den Preis der Lächerlichkeit, gut darstellt, indem er sich ihm selbst ausliefert.

Humoristisch treffender als mit Rocko Schamoni als „Reiseführer“ durch seine Heimatstadt Lütjenburg kann man deren provinziellen Muff kaum zeigen. Besser kann man auch nicht verstehen, wie aus dieser „Schlangengrube“ (Schamoni) der Fun-Punk norddeutscher Prägung geboren wurde. Vor diesem Hintergrund des – mutwilligen – völligen Distanzverlustes zwischen Beobachter und Beobachtetem erscheint es auch sinnvoll – wenn man denn im System der dadaistischen Avantgarde der „Dorfpunks“ von Sinn sprechen will –, lange Strecken des Films mit Ausschnitten des Theaterstücks „Dorfpunks – Blüten der Gewalt“, das seit 2008 u.a. mit Rocko Schamoni und seinen Kollegen von der Anarcho-Humor-Combo Studio Braun im Schauspielhaus Hamburg läuft, zu bestreiten. Auch hier sprechen die Porträtierten im doppelten Sinne des Wortes „für sich“.

Dieses (anti-) dokumentarische Konzept bewahrt den Film auch vor einer Falle, in die solche Porträts vergangener Jugend- oder Pop-Kulturen regelmäßig tappen: nämlich das Ehemalige zu historisieren und somit oft auch zu verklären. Die eingangs zitierte Zuschauerresonanz beruht auf einer solchen Erwartungshaltung an einen Dokumentarfilm über Punk. Sie zu enttäuschen, könnte man dem Film fast als eigentliche Botschaft unterstellen. Zumindest Rocko Schamoni würde das gefallen, wenn er am Ende mit ernsthaftem Unernst resümiert: „Ihr hattet Recht, wir hatten Recht, und jetzt ist dieser Krieg vorbei.“ Nur so kann der Kampf ums anders Sein weitergehen ... (jm)

„Rebellion auf dem Marktplatz – Holsteiner Punk-Bewegung in der Gemarkung Lütjenburg“, D 2008, 45 Min., Buch, Regie: Heike Bettermann, Rainer Link, Schnitt: Rainer Link. Gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H.