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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

59. Int. Filmfestspiele Berlin - Berlinale 2009

„Doch schon weit über halbgeil“

„Dorfpunks“ (Lars Jessen, D 2009)

„Also auf einer Skala von nullgeil bis vollgeil war’s doch schon weit über halbgeil, würd’ ich sagen.“ Dieser schöne Spruch aus Lars Jessens Romanverfilmung von Rocko Schamonis „Dorfpunks“ kann als treffende Formulierung für ein vorweggenommenes Urteil über diesen bemerkenswerten „Heimatfilm“ gelten, wobei man das „weit über“ dick unterstreichen und mit drei Ausrufezeichen versehen sollte.

Jessen erinnert mit seinem Film an eine Jugend in der ostholsteinischen Provinz Anfang der 80er Jahre, eine Provinz, die wohl auch heute noch so, wenn auch mit einigen Veränderungen, bestehen mag. Es ist ein Leben am Rand (wie Rocko Schamoni treffend im Abspann-Lied singt), aus dem seine Helden zwar nicht richtig ausbrechen können, zumindest es aber versuchen. Die Dorfpunks des Films versuchen die Enge der ländlichen Einfalt zu durchbrechen und das mit für sie sicherlich anarchisch anmutenden Mitteln. Doch von außen und mit unserem zeitlichen Abstand wirkt ihr Punkertum teilweise eher liebenswert und reichlich naiv, um nicht zu sagen einfältig.



Halbgeiler und halbgarer Aufbruch aus der Provinz: Die Dorfpunks (Fotos: Berlinale)
Der Held des Films, der Töpferlehrling Malte Ahrens (Cecil von Renner), wohlbehüteter Sohn eines der Friedensbewegung anhängenden Lehrerehepaars bei Schmalenstedt (gemeint ist Lüthjenburg, wo auch ein Teil der Dreharbeiten stattfanden) nennt sich eines schönen Sommertages Roddy Dangerblood und gründet mit seiner Clique eine Punkband. Zwar ist bei allen Beteiligten mehr Wollen als Können im Spiel, doch die Begeisterungswellen schlagen hoch unter den Freunden, als der passende Gruppenname ersonnen werden soll. Schon die ersten Proben in der elterlichen Dachbude lassen allerdings befürchten, dass das Ganze in einem Fiasko enden wird, sobald der erste öffentliche Auftritt ansteht. Und so kommt es denn auch. Roddy wird mit seinen Freunden Fliegevogel (Ole Fischer), Flo (Daniel Michel) und dem ewig nach Provokation suchenden Leadsänger Sid (Pit Bukowski) und ihrer Punkband „Warheads“ nach einem Auftritt auf einem Talentwettbwerb, der voll daneben gerät, nur Vorletzter anstatt Letzter. Ihr anschließender Besuch auf der Geburtstagsparty von Roddys neuem Schwarm Maria (Meri Husagic) endet nicht minder im Trauerspiel: die Freunde demolieren im Alkohol-Vollrausch unabsichtlich das Wohnzimmer, ihr Hund kotet auf den Teppich und Fliegevogel uriniert, weil er das WC nicht finden kann, volltrunken ins elterliche Bett.



Bier zur Stärkung nicht nur der punkigen Mähne ...
Das liest sich drastischer als es uns Jessen zeigt. Ihm ist in jedem Augenblick die Sympathie mit seinen Protagonisten wichtig. Er fängt das Streben der Protagonisten nach Freiheit liebevoll ein – eine orientierungslose Gummibootfahrt über die nebelige Howachter Bucht wird zum treffenden Bild dafür –, und so kommt es auch beim Zuschauer an. Auch kann sich Jessen des nostalgischen Einsatzes seiner erzählerischen Mittel bisweilen nicht erwehren. Er stellt das Aufbegehren einer Jugend dar, die tief in der Provinz verwurzelt ist und keine Alternative zu dieser Lebensform hat oder wirklich sieht. Ihre Rebellion erschöpft sich oft im Rumhängen, Kleinstadtbürger Provozieren und Prügeleien mit feindlich gesonnenen Jungbauern. Zur Ausstattung werden für sie dabei ihr Punker-Aufzug und der Alkohol, dem sie bisweilen mehr als freudig zusprechen.

Die Eltern werden als Besorgte, weil nicht Begreifende zur Marginalie und meist ausgespart. Einzig der Kneipenwirt Paul Mascher (Axel Prahl), dem sich Roddy zuwendet und der ihn mit seiner profunden Schallplattensammlung zu begeistern vermag, wird für ihn vorübergehend zum väterlichen Freund. Aber das deutet die Handlung eher an als es ausführlich zu thematisieren. So wird Malte alias Roddy letztlich auf sich selbst und seine ganz persönlichen Träume zurückgeworfen, als dieser Sommer endet und die Clique auf einmal auseinandergeht.

Das Ende fügt sich passend in die Geschichte ein. Es gibt keinen großen Bruch, keine Randale mit der Polizei, auf die die Dorfpunks keinen Bock mehr haben, keine wirkliche Revolte oder ähnliches. Der Film ebbt langsam ab: Fast vorhersehbar endet die Karriere unserer Dorfpunks, die nur in ihren Augen eine war.

Jessen erweist sich nach „Am Tag, als Bobby Ewing starb“ und besonders „Schimmelreiter“ einmal mehr als liebevoller Chronist der norddeutschen Provinz, der sein Handwerk versteht und der kennt, wovon seine Geschichten handeln. Deshalb macht es ihm keine Mühe, so, authentisch und unaufgeregt, zu unterhalten. (Helmut Schulzeck)
„Dorfpunks“, D 2009, 91 Min., 35mm. Regie: Lars Jessen, Buch: Nobert Eberlein nach der gleichnamigen Romanvorlage von Rocko Schamoni, Kamera: Michael Tötter, Darsteller: Cecil Renner, Ole Fischer, Pit Bukowski, Daniel Michel, Laslo Horwitz, Meri Husagic, Axel Prahl. Gefördert u.a. von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein.

Der Film läuft auf der Eröffnungsveranstaltung des 13. Filmfestes Schleswig-Holstein Augenweide am Freitag, den 13. März 2009, um 19.30 Uhr im Großen Saal der Pumpe, Kiel, Haßstraße 22.