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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

54. Nordische Filmtage Lübeck 2012

Spannender Bilderbogen einer Sturmflut

„Die große Sturmflut 1962 an Schleswig-Holsteins Nordseeküste“ (Martina Fluck, D 2012)


Die Dokus zum 50. Jahrestag der großen Sturmflut, die am 16./17. Februar 1962 über die deutsche Nordseeküste hereinbrach, sind zahlreich. Wozu braucht es da noch einer weiteren? Weil sich das dokumentarische und Dokudrama-Interesse bisher vor allem auf die spektakulären Auswirkungen der Flut auf Hamburg konzentrierte. Dass die auch an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste verheerende Folgen hatte, obwohl es – zum Glück – anders als in Hamburg keine Toten zu beklagen gab, zeigt Martina Fluck in ihrer kurzen Dokumentation, die sie für das Nordsee-Museum im Husumer Nissen-Haus produziert hat.

Sechs Zeitzeugen lässt sie über ihre Erlebnisse berichten, vom mehrfach mannshohen „Landunter“ auf den Halligen ebenso wie von den Deichbrüchen an den Kögen, wo die Bauern nur unter enormen Kraftanstrengungen und auch nur Teile ihres Viehs vor dem Ertrinken retten konnten, während manches Hofgebäude den Fluten nicht standhielt. Doch an solche Katastrophen, ausgelöst von der unbändigen Wildheit des „blanken Hans“, sind die Dithmarscher und Nordfriesen gewöhnt und begegnen ihnen daher mit stoischer Gelassenheit: „Das is’ eben so“, resümmiert einer der Zeitzeugen ebenso einsilbig wie schicksalsergeben. Und ein anderer erzählt, dass er kaum Angst hatte, vielmehr den „schaurig schönen Anblick“ bewunderte, den das über die Deichkrone schäumende Wasser bot. Indem Fluck solche Erinnerungen der schleswig-holsteinischen Küstenbewohner, die fast eher in einer Symbiose mit der „Mordsee Nordsee“ leben, einfängt, porträtiert sie weniger eine Jahrhundertflut als die Menschen, die gelernt haben, solchen Naturgewalten mit einiger Dickschädeligkeit zu trotzen.


Bewegende Erinnerungen vor bewegten Bildern: Zeitzeuge Ernst-August Huesmann berichtet über die große Sturmflut 1962 (Foto: NFL)
Genau das macht den eigenwilligen Reiz dieser Dokumentation in der Flut der Dokus zur großen Flut aus. Obwohl wir größtenteils nur die berühmten „talking heads“ sehen, entsteht aus deren chronologischer Erzählung der Ereignisse ein Bilderbogen, der fast so spannend wie ein Spielfilm ist – selten im Dokumentarfilm. Die Spannung steigert Fluck zudem durch einen interessanten filmbildnerischen Trick: Statt nur das schwarz-weiße Archivmaterial von tosenden Wassern mit den Zeitzeugeninterviews gegenzuschneiden, setzt sie es in den Hintergrund der vor Bluescreen gefilmten „talking heads“. Was letztere erzählen, erscheint somit wie ein Spiegel ihrer Erinnerungsbilder hinter sie projiziert. So kommentieren sich beide Bildebenen gegenseitig und sind davor gefeit, langweilig zu wirken, entwickeln vielmehr eine den Film tragende und vorantreibende Dynamik, die der der großen Flut kaum nachsteht. (jm)

„Die große Sturmflut 1962 an Schleswig-Holsteins Nordseeküste“, D 2012, 20 Min., BlueRay. Buch, Regie: Martina Fluck, Kamera: Jürgen Hoffmann, Produktion Martina Fluck / Yucca Filmproduktion. Info: www.yucca-filmproduktion.de/fi_sturmflut.html