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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

17. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide 2013

Kein Platz auf den Sendeplätzen?

Eindrücke vom Werkstattgespräch über Verkaufsstrategien für Dokumentarfilme


Manche grandiose (Dokumentar-) Filmidee ist keine gute, weil sie sich nicht an den Mann und die Frau im Publikum und womöglich auch nicht in den TV-Redaktionen bringen lässt. Bernd-Günther Nahm, Leiter der Filmwerkstatt Kiel der FFHSH und langjährig Erfahrener in Sachen Filmförderung, weiß davon manches auch traurige Lied zu singen. Schon oft hat er gute Filmideen gesehen, die aber nicht „marktfähig“ waren und daher spätestens nach ihrer Realisierung scheiterten. Zu spät, denn wer sich über die Verwertungsmöglichkeiten seines Films nicht schon zu Beginn des Projekts Gedanken macht, setzt womöglich nicht nur viel Geld, sondern auch viel Zeit und Schaffenskraft in den Sand.

Um das zu vermeiden, fragte das Werkstattgespräch zur diesjährigen Augenweide: „Was geht? – Themen finden und verkaufen“ – und wollte damit Filmschaffenden zeigen, wie Produktionsfirmen und TV-Redaktionen im Bereich Dokumentarfilm funktionieren, welche Themen Aussicht haben, nicht nur in einen Film zu münden, sondern auch den Weg auf einen Sendeplatz oder auf die Kinoleinwand und damit zu ihrem Publikum zu finden. Unter der Moderation von Bernd-Günther Nahm und Arne Sommer, Vorstand der Kulturellen Filmförderung S.-H. e.V., plauderten dazu Julia Cöllen von der Hamburg-Berlin-Stuttgarter Dokumentarfilm-Produktionsfirma Filmtank und Ulrike Dotzer, Leiterin der ARTE-Redaktion des NDR und zudem wie Nahm im Vergabegremium der FFHSH, aus ihren jeweiligen Nähkästchen. In denen ist zwar das Garn recht eng gesponnen, dennoch ergeben sich Möglichkeiten auch für nicht das Garn allzu schnell spinnende Projekte, wenn man sie nur – schon als Ideenhaber – richtig einfädelt, so die dann doch ermutigende Botschaft aller auf dem Podium.

Julia Cöllen berichtete anhand vieler Beispiele, wie Filmtank Projektideen zusammen mit den Filmemachern weiterentwickelt und zur Produktionsreife bringt, auch welche „guten Drähte zu TV-Redaktionen und Filmförderungen“ der 2001 (quasi als Dokumentarfilmsektion der Hamburger Wüste Spielfilmproduktion) gegründete Filmtank gegebenenfalls zum Glühen bringen kann. Ulrike Dotzer: „Wenn mir Filmtank ein Projekt vorschlägt, nehme ich das schon mal sehr ernst“, die erste Hürde scheint also schon genommen, aber es folgen noch viele ... Cöllen nennt die Kriterien, nach denen Filmtank eine an ihn herangetragene Idee abklopft: Hat das Thema eine gesellschaftliche und aktuelle Relevanz, die sich auch international vermitteln lässt? Scheint eine Filmförderung möglich, denn ohne solche lässt sich heute kaum ein Dokumentarfilm realisieren? Gibt es einen passenden Sendeplatz für eine TV-Auswertung? Zwar produziert Filmtank auch viele Dokumentarfilme fürs Kino, doch dort ist der Markt noch enger als auf dem klassischen Dokumentarfilmmarkt TV. Dennoch bemüht sich Filmtank um Kinoauswertung. Bei Darío Aguirres „Cesars Grill“ ging letztere prompt schief, weil ein Verleiher zwar zunächst Interesse zeigte, dann aber absprang. Dem Film ist dennoch ein Sendeplatz auf ARTEs Slot „Gesellschaft“ sicher. Denn in den Film bezieht sich sein Regisseur selbst ein, indem er die Geschichte des elterlichen Restaurants in Ecuador erzählt. „Damit perfekt auf das Sendeplatzprofil passend“, meint Ulrike Dotzer.


Was nicht passt, kann passend gemacht werden – Podium beim Werkstattgespräch (v.l.: Julia Cöllen, Bernd-Günther Nahm, Ulrike Dotzer, Arne Sommer) (Foto: Marcel Wicker)
Doch was ist passgenau für welchen Sendeplatz? Ob man die Sendeplatzcharakteristika und deren „Ausschreibungen“ auf der ARTE-Website finden kann, weiß Dotzer selbst „nicht so genau“. Und auch mancher im Publikum sagt nicht als Filmemacher, sondern als ARTE-Zuschauer, dass ihm solche nicht sonderlich transparent erscheinen. Profilierungsnachholbedarf seitens des Senders? Aber in jedem Falle, so Dotzer, könne man sich an sie wenden, um mehr darüber zu erfahren. Denn daran liegt ihr, die Sendeplatzstruktur transparent gerade für Filmemacher zu machen. Im übrigen: „Schauen Sie viel ARTE, da werden sie sehen, was wir brauchen“. Gerade der Sendeplatz „Gesellschaft“ sei oft schwierig zu besetzen, so dass auch schon ausländische Produktionen angekauft wurden.

Indes bleiben die Sendeplätze – wenigstens in diesem Werkstattgespräch – schwammig darin, was sie genau an Zulieferung brauchen. Ein Stück weit „sollen sie auch offen sein“, so Dotzer, wie etwa der neue, „Experimente duldende“ Platz bei ARTE am Sonntagnachmittag. Gleichwohl drängt sich nicht nur dem Autor dieser Zeilen die Frage auf, ob die – zudem wenig transparente – Sendeplatzstruktur nicht nur bei ARTE, auch bei eigentlich allen anderen öffentlich-rechtlichen Sendern, sich nicht besser an den Angeboten der „zuliefernden“ Filmemacher und ihren Themen orientieren sollten als diese an jenen. Zumal sich starre (wenn auch im Detail bewegliche) Sendeplatzstrukturen selbst den Weg zu kreativen Neuerungen verstellen. Letzteres Argument treibt auch Dotzer wie Cöllen um. Allein, ihnen sind in den vorgegebenen Strukturen oft die Hände gebunden, den (Sub-) Redaktionen und durchaus innovationswilligen Produktionsfirmen wie Filmtank. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen, immerhin noch auf dem Papier mit einem Auftrag zur Förderung von Bildung und (Minderheits-?) Kultur versehen, kämpft wie der Dokumentarfilm, vielleicht der Film insgesamt, vielleicht sogar das Kino „itself“, täglich und allabendlich um Akzeptanz eines Publikums, das nur noch Ü50 vor den TV-Schirmen sitzt, jünger längst am Internet hängt.

Hat die alte Tante TV womöglich ausgedient? Wohl nicht, denn im gewohnt kostenfreien Medium Internet lassen sich Filme immer noch nur zögerlich bestenfalls als Nullsummenspiel zwischen Aufwand und Einspiel abspielen. Da geben Produktionen wie „Love & Engineering“ von den Finnen Kaarle Aho und Tonislav Hristov über „nerdige“ Computeringenieure, die die „Firewall Frau hacken“ wollen, um endlich nicht mehr lonesome Cowboys nur an der Antastbarkeit ihrer Tastaturen zu sein, Hoffnung. Das Doku-Projekt ist crossmedial angelegt, will nicht nur auf der Leinwand und dem TV-Schirm reüssieren, sondern gleichzeitig im weiten Web 2.0 der Social Media. Filmtank begleitet das Projekt bereits, auch wenn die crossmedial ausgerichtete Berliner Sektion des Unternehmens sich noch „recht bedeckt“ zeige, so Cöllen. Aber da der Trailer schon beim Werkstattgespräch spontane Begeisterung auslöst, liegt der neue Sendeplatz für innovative, kreative Dokus vielleicht bald nicht mehr auf dem TV-Schirm oder der Kinoleinwand, sondern im Netz. Sender wie Verleiher, Produktionsfirmen wie Filmemacher sollten das schon mal zumindest als „Bookmark“ im Gedächtnis behalten. (jm)