Der Newsletter zum Thema Medien in Schleswig-Holstein
herausgegeben von
Filmkultur Schleswig-Holstein e.V.



Impressum
Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

14. Filmfest Schleswig-Holstein - Augenweide

Der Ton macht den Film

Werkstattgespräch „Der gute Ton“ mit Volker Zeigermann und Maria Hemmleb


Volker Zeigermann, an unzähligen Dokumentar-, Fernseh und Spielfilmen erprobter Tonmeister und Geschäftsführer eines Studios für Audio-Produktion, Postproduktion und Equipment-Verleih, brachte sein Verständnis von der Bedeutung professioneller Tonarbeit gleich zu Anfang seines zweistündigen Vortrages auf den Punkt: „Jeder Film mit seinem künstlerischen Ansatz erfordert einen eigenen Ansatz bei der Tonbearbeitung.“


Volker Zeigermann (Fotos: Lorenz Müller)
Die Entwicklung insbesondere der digitalen Kameratechnik in den letzten Jahren verleitet zum Eindruck, die Aufzeichnung von Ton vereinfache sich in gleicher Weise wie die Aufzeichnung eines hoch aufgelösten digitalen Videobildes. Zwar hat zumindest jede Videokamera auch ein integriertes Mikrofon und die Möglichkeiten zum Anschluss von externen Mikrofonen (meist über 3,5mm-Klinke, Blitzschuh, seltener über XLR-Eingänge), doch für eine optimale Tonaufzeichnung ist nach wie vor separates Equipment die technische bessere und sicherere Lösung. Die Handhabung einer Tonausrüstung verlangt allerdings ebensoviel Sachkenntnis und Sorgfalt wie die der Filmausrüstung.

Anhand von Tonbeispielen führte Zeigermann seine Zuhörer in das komplexe Feld auditiver Wahrnehmung ein. Durch die Komposition verschiedener Audio-Elemente lassen sich subtil Informationen über den (filmischen) Raum, Zeit und Situation vermitteln. Auch das Zeitgefühl de Zuhörers lässt sich durch die Gestaltung der Tonebene beeinflussen. Problematisch ist allerdings oft die Verständigung zwischen Regie und Sound Department über den Ton, die Ton-Atmosphäre ist schwierig zu definieren. Um sich für die spätere Gestaltung Optionen offen zu halten, „gilt hier mehr noch als bei der Kameraarbeit das Prinzip des Jagens und Sammelns“, so Zeigermann.

Zeigermann unterscheidet drei Arten des Hörens:
  • Das ursächliche Hören – Automatisch horcht man auf den Ursprung eines Tones und versucht, Informationen über die Tonquelle zu ermitteln.
  • Das semantische Hören analysiert die inhaltliche Bedeutung einer Nachricht.
  • Das reduzierte Hören konzentriert sich auf die Eigenschaften des Tones und seine Verwertbarkeit beim Tonschnitt.
Die konkrete Tonarbeit am Set beginnt, wie für die meisten anderen Departments auch, mit dem Drehbuch. Anhand von Anzahl der Charaktere in einer Szene, Situation und Handlung kann bereits auf Dialogaufzeichnung, Atmo und charakteristische Geräusche geschlossen und das Equipment entsprechend logistisch geplant werden. Eine gründliche Vorbereitung und vorherschauende Auswahl des Materials bis hin zu einem vorteilhaften Stellplatz für das Tonfahrzeug am Set fördern einen reibungslosen Ablauf und die notwendige Flexibilität am Set. Die tatsächliche Aufnahme vor Ort erfordert darüber hinaus nicht nur Sorgfalt, sondern oft auch persönliche Autorität und Standvermögen, wenn im Anschluss an den Dreh einer Szene für die Tonaufnahmen von Atmo und Sondergeräuschen „Ruhe am Set!“ durchgesetzt werden muss. Außerdem besteht, so Zeigermann, „die Notwendigkeit, am Set gestalterisch einzugreifen, in gleicher Dringlichkeit wie für alle anderen Departments“. Komplexe Szenen erfordern oft die getrennte Aufzeichnung von Bild und Ton, wie Zeigermann anhand des anschaulichen Beispieles der Abschlussszene von „Chiko“ (Özgür Yildrim, D 2008) vorführte. Dialoge, Schreie, Kampfgeräusche etc. stehen separat zur Verfügung und gewährleisten eine größere Gestaltungsfreiheit beim Tonschnitt und der Tonmischung. Oberstes Gebot bleibt laut Zeigermann: „Die Schauspieler dürfen nicht beeinträchtigt werden, je mehr Freiheit sie haben, desto besser sind sie.“


Volker Zeigermann demonstriert den „Einbau“ eines unsichtbaren Funkmikros
Diese Regeln gelten sinngemäß und verstärkt auch für den Dokumentarfilm. Beim Umgang mit Dokumentarfilmprotagonisten ist gar psychologisches Fingerspitzengefühl vonnöten, soll der Interviewpartner nicht bereits durch das Verkabeln mit einem „unsichtbaren“ Funkmikrofon verunsichert und aus dem Konzept gebracht werden. Eine gründliche logistische Vorbereitung ist einleuchtender Weise für einen Dokumentarfilmdreh unabdingbar, ist man doch oft gezwungen, schnell und flexibel zu reagieren. Ein Weniger ist aber auch hier manchmal ein Mehr, denn je weniger Technik vor Ort zum Einsatz kommen muss, desto flexibler ist man.

Dass die Arbeit als Tonmann oder Tonfrau kein Zuckerschlecken ist, daran ließ Volker Zeigermann allerdings keinen Zweifel: Das Sound Department muss sich nicht nur am Set durchsetzen und trotzdem am besten „unsichtbar“ bleiben. Leider fehlt oft auch das Verständnis für die technischen Anforderungen an eine qualitativ hochwertige Tonaufzeichnung. Insbesondere bei zunehmend schmaler budgetierten Fernsehdrehs setzt sich zusehends ein von Zeigermann pointiert betiteltes „Praktikantenfernsehen“ durch, dessen Verständnis für Tonarbeit gerade noch vom Funkmikro bis zur Klinkenbuchse an der Digitalkamera reicht.

Mit ein paar Tipps aus der täglichen Praxis („Wie stecke ich ein Funkmikro unsichtbar und raschelsicher an?“) beschloss Volker Zeigermann seinen kurzweiligen und kompetenten Rundschlag zum Thema „Ton am Set“ ab und übergab thematisch nahtlos an die Dokumentarfilmerin und Sound Designerin Maria Hemmleb.

„Wenn man das gleiche Geld wie in das Bild auch in den Ton stecken würde, bekäme man einen ungleich wirkungsvolleren Film“, zitierte Hemmleb den Film Editor, Sound Designer und Mitentwickler des Dolby Surround Verfahrens Walter Murch („Apocalypse Now“, USA 1979; „The English Patient“, USA/UK 1996). Der Tonschnitt ist eine weitere Gestaltungsebene im filmischen Prozess, sein Prinzip – analog zu dem des Filmschnitts – definiert und differenziert die Kunstform Film von allen anderen. Natürlich kann der Film Editor nicht ohne einen Synchron-Ton und eventuell wichtige charakteristische Geräusche oder Effekte arbeiten, deshalb legt er sie bereits grob an. Doch die eigentliche Gestaltung der Tonebene obliegt dem Sound Editor und für die finale Abmischung der einzelnen Tonebenen dem Sound Mixer. In diesem Arbeitsprozess fällt u. U. einem Geräuschemacher die Aufgabe zu, passende charakteristische Sounds nachträglich zu erzeugen, bzw. einem Effektspezialisten, elektronische Sounds zu generieren. Komponisten und Musiker sorgen für einen Score.


Maria Hemmleb
Zu den wesentlichen Gestaltungselementen zählen für Maria Hemmleb eine den filmischen Raum definierende Atmo, Dialoge und Kommentare, natürliche und synthetische Geräusche, Foleys und Soundeffekte sowie Musik. Drei wichtige Regeln legt Hemmleb ihrer Arbeit zugrunde:
  • Zuerst wird der Dialog inhaltlich korrekt und in Absprache mit dem Regisseur oder anhand des Drehbuches geschnitten.
  • Kontinuität und Zusammenhang sind oberstes Gebot.
  • Der Raum-Atmo kommt eine wichtige Rolle zu, sorgt sie doch – oft nur subtil – für Orientierung in Raum und Zeit und die Stimmung.
Damit wiederholt Hemmlieb die schon von Zeigermann hervorgehobene Bedeutung der Aufzeichnung einer brauchbaren, ausreichend langen Atmo. Es lohnt sich, so Hemmleb, sein eigenes Archiv an Atmos anzulegen. Kaufbare Atmo-Clips auf CD oder zum Download im Internet seien oft nicht brauchbar, schon weil sie meist zu kurz sind. Mit kleinen digitalen Audio-Rekordern lassen sich qualitativ hochwertige Aufnahmen erstellen, die eigentlich nie zu lang sein können und gerne auch mal eine halbe Stunde dauern dürfen. In diesem Zusammenhang wies Hemmleb auch auf die Notwendigkeit einer sauberen, „sprechenden“ Dateien-Benennung hin. Am besten finde sich der Ort und die Zeit der Aufzeichnung sowie der Name des Interviewpartners im Namen wieder.

Eine Notwendigkeit der starken auditiven Nachbearbeitung unter Einsatz von Archivquellen resultiert nach den Erfahrungen von Hemmleb oft aus dem Mangel an qualitativen Original-Tonaufnahmen. Insbesondere auf längere Atmo-Mitschnitte angesprochen, reagieren Kameramänner gerne mal mit einem „Ich bin doch nicht beim Hörfunk“. In einer kurzen, lebhaften Diskussion standen die Ansprüche eines in seiner Kraft des Unverfälschten nicht zu unterschätzenden „Direct Cinema“ dem heute üblichen Verfahren einer Postproduktion á la „ZDF-History“, die selbst tonlosen Originalfilmen einen zeitgemäßen Sound verpasst, gegenüber. Maria Hemmleb wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Sound Designer auch durchaus gezwungen sein können, mit „Klang-Klischees“ zu arbeiten, um die Hörgewohnheiten des Publikums nicht zum Nachteil des Films zu enttäuschen.

Letztendlich obliegt es dem Filmemacher, sich für einen künstlerischen Ansatz zu entscheiden und diesen auch auf der Tonebene in enger Zusammenarbeit mit Tonmeistern, Sound Designern und Editoren umzusetzen. Wie diese Zusammenarbeit in der Praxis aussieht, konnten Volker Zeigermann und Maria Hemmleb einem zahlreich erschienen und interessierten Publikum anschaulich – oder wir sollten besser sagen: „anhörlich“ – nahe bringen. (dakro)