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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

Wenn Widerstand zum Alltag wird

„Das Ding am Deich. Vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk“ (Antje Hubert, D 2012)


1976 – man sieht einen relativ kleinen Trupp von Demonstranten, der an einem Bauplatz, den es noch gar nicht gibt, gegen ein Atomkraftwerk demonstriert. Dann der Filmtitel und anschließend eine Grafik von der Elbe bei Hamburg mit seinen vier Atomkraftwerken. Schließlich: Durch den von Frostnebel verschleierten Fluss zieht ein hoch bepacktes Containerschiff. Die Spitze eines riesigen Überlandstrommastes setzt eine Markierung. Zuletzt eine historische Filmaufnahme auch aus kamera-optischer Distanz, in der sich kampf-gerüstete Polizeihundertschaften einen Wasserwerfer begleitend im Laufschritt auf einer grün-braunen Winterwiese lose verstreuten Demonstranten nähern, eskortiert von tief fliegenden Hubschraubern. So stimmt der Film ein auf sein Thema, den Widerstand der Menschen vor Ort gegen das Atomkraftwerk Brokdorf.

Brokdorf liegt in der Wilstermarsch, einer Gegend an einer breiten Wasserstraße zur weiten Welt, wo sich im Kontrast dazu eigentlich doch nur Hund und Katz’ gute Nacht sagen könnten, wenn dort nicht die Nordwestdeutsche Kraftwerke AG Mitte der 70er Jahre begönne, ein Atomkraftwerk zu errichten. „Das Ding am Deich“, wie es Antje Hubert in ihrem Dokumentarfilm betitelt, ist ein Film über Menschen, die ihre Illusionen verlieren, weil sie sich mit etwas abfinden müssen, mit dem sie sich im Grunde genommen gar nicht abfinden können, ein Film über Menschen, die dennoch ihren Kampf nicht aufgeben. Letztendlich fahren sie mit Hilfe der Ereignisse in Fukushima im März 2011 einen Sieg ein. Doch jeder von ihnen zahlt auch seinen persönlichen Preis für die letzten 35 Jahre.


Antje Hubert porträtiert den Kampf von ganz normalen holsteiner Menschen, Bauern, Handwerkern und anderen, die im Grunde genommen ihren Alltag auf dem Lande ohne Aufregung erlebt hatten, wie es Bauer Uwe Bolten beschreibt, bis zum Herbst 1976, als quasi in einer – man verzeihe mir den gar nicht so polemischen Ausdruck – Nacht-und-Nebel-Aktion mit dem Bau des Atomkraftwerkes begonnen werden sollte. Von da an existiert der Widerstand der Protagonisten. Er schärft ihr Bewusstsein und macht sie zu „politischen“ Bürgern. An ihren mentalen und emotionalen Wunden aber leiden sie noch bis heute. Bauer Ali Reimers z.B. bricht in Tränen aus, nachdem er sich noch einmal die vergangenen Ereignisse vor der Kamera vergegenwärtig hat. Er hat seinen Glauben an den „demokratischen Rechtsstaat“ verloren. Obwohl die Gegner der Kernkraft viele Argumente auf ihrer Seite wussten, schafften sie es bekanntlich nicht, den Bau des Atomkraftwerks zu verhindern. In einer Filmaufnahme aus den 70er Jahren bekennt Ali Reimers denn auch schon halb resignierend, dass Politiker nur die Erfüllungsgehilfen der Industrie seien, weil sie die Belange der Bevölkerung, von denen sie gewählt wurden, in keiner Weise bedenken und berücksichtigen würden. Und der in Brokdorf lebende Meteorologe Karsten Hinrichsen gesteht seine lebensnotwendige Verdrängung der Bedrohung. Er blende sie aus, wann immer es gehe. Notköfferchen und Geigerzähler stünden nicht mehr bereit, wie in den ersten Jahren des AKW-Betriebs.

Huberts Film erzählt auch von der Solidarität der einheimischen Bevölkerung mit den zu den großen Demonstrationen aus ganz Deutschland anreisenden AKW-Gegnern. Teilweise monatelang beherbergen und verpflegen z.B. Bauer Ali Reimers und seine Frau Marlene wechselndes Demonstranten-Personal. Der Rechtsstaat entpuppt sich in der Krise aus Sicht der Betroffenen als Polizeistaat, der es der Kernkraftindustrie und den politischen Befürwortern dieser erlaubt, mit kleinen „Bestechungsgaben“ wie Blumen oder Gratis-Weihnachtsbäumen auf geradezu lächerliche Art zu beeindrucken und in ihrer Meinung noch unentschiedene Bewohner der Wilstermarsch für sich zu gewinnen. Brokdorf schließlich bekommt von der von der Landes-CDU gesteuerten Politik ein Millionen DM teures Freibad mit Aufwärmhalle spendiert, deren laufende Kosten man ja sehr gut mit den später anstehenden Steuereinnahmen aus dem neuen AKW begleichen könne, so der damalige Bürgermeister.

Der beeindruckende Film ermöglicht mit seiner sorgfältigen Auswahl an Filmdokumenten auch ein zwiespältiges Wiedersehen mit Gerhard Stoltenberg, Uwe Barschel, Bundeskanzler Helmut Schmidt, ja sogar mit Hans Filbinger. Und wenn der badische Heimatchor ein traditionelles Lied mit neuem Text anstimmt („Heimat, die ich liebe, du bist meine Welt. Polizistenhiebe gar nicht uns gefällt. Unsere Heimat ist uns heilig. Darum wird auch nichts zerstört“), wird begreiflich, warum Wyhl im Kaiserstuhl ein AKW erspart geblieben ist. Hier stand die Bevölkerung geschlossener hinter dem Protest, ließ sich weniger von neuen „sicheren“ Arbeitsplätzen beeindrucken, von denen Brokdorfs ehemals langjähriger Bürgermeister Eggert Block immer noch schwärmt. Und die Politik hatte es noch nicht gelernt, mit dem Problem taktisch klug aber auch polizeibrutal, wie in Brokdorf, umzugehen. Auch das lässt Hubert ihre Betroffenen sinnfällig und kompetent erzählen. Ob Novellierung des Atomgesetzes von 1980, das das Brokdorfer AKW nach den gerichtlichen Klagen der Anwohner letztlich erst ermöglichte, die Endlagerproblematik oder ein ironischer Treppenwitz des Zivilschutzes: die schon kurz vor Eintritt der Katastrophe mit nahezu prophetischer Gabe zu ergreifenden Vorsichtsmaßnahmen – die Leute hinter dem Deich sind kundig, haben es drauf. Ihr Widerstand war Alltag.

Die Bedrohlichkeit der angeblich so sicheren Stromlieferanten führt uns Hubert mit der Beobachtung einer Katastrophenschutzübung im Sommer 2010 noch einmal sinnfällig vor Augen, auf der ihr Leiter Dr. Hans Treinis in der Itzehoer Zentrale des Katastrophenabwehrstabes fast kleinlaut aber ehrlich bekennt: „Je mehr man übt, desto mehr drängt sich der Gedanke auf, dass das eigentlich nicht passieren sollte, weil die Auswirkungen so immens sind.“ (Helmut Schulzeck)

„Das Ding am Deich. Vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk“, Deutschland 2012, 97 Min., Farbe, Regie und Buch: Antje Hubert, Kamera: Barbara Metzlaff, Schnitt: Magdolna Rakob, Produzent: Christian Bau, Produktion: Die Thede, gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH (FFHSH).

„Das Ding am Deich“ feiert auf dem 33. Filmfestival Max-Ophüls-Preis (Saarbrücken, 16. - 22. Januar 2012) seine Premiere.