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Letztes Update:
15. Juli 2023 - 13:56

13. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Wo ein Kilowatt noch zwei Pfund Schlick sind

„Meerkampf. Watt?“ (Frank D. Müller, D 2009)


Zu Beginn das Wattenmeer im sommerlichen Gegenlicht, kräuselnde Wellen, tanzende Lichter auf ihren Spitzen, untermalt mit eingängiger, ruhiger Musik. Die Deichlandschaft davor mit den typischen Dithmarscher Schafen. Ein Schäfer radelt gemächlich von links nach rechts durchs Bild hinter seiner Herde her. Dunkler Schlick, das Spiel kleiner Priele, nicht sichtbare Wattwürmer spucken ihre kleinen Wasserfontänen wie lustige Pfeile aus dem schlammigen Untergrund. Wenige Bilder genügen Regisseur Frank D. Müller in seinem Dokumentarfilm „Meerkampf. Watt?“, um eine sympathische Atmosphäre aufzubauen, die gelassene Landschaft der Elbmündung vor dem Wattenmeer tut ein Übriges.

Watt wird dann vom Kommentar aus dem Off als Ort definiert, „an dem das Leben schlechthin“ entstanden sei. Die Auslassungen des Künstlers Jens Rusche alias „Dr. h. c. Wattpsych Bodo Bodenwelle“, der zunächst nur mit seiner Stimme in Erscheinung tritt, wirken anfänglich wie eine kleine evolutionsgeschichtliche Erklärung, gleiten dann aber in die kalauernde Frage über, „wie sie es bloß die Millionen von Jahren mit nassen Füßen“ ausgehalten hätten (gemeint sind die Lebewesen im Wasser), um dann quasi zur vorweggenommenen Begründung der „schmutzigen Wettkämpfe“ der „Watt-Olümpiade“ zu führen, die im Mittelpunkt des Filmes stehen. Als „sie an Land kamen, sind sie dabei sehr dreckig geworden“, und das hätte ihre Lebensweise geprägt.

Jens Rusche ist Mitbegründer und Spiritus Rector des „Wattpsychologischen Instituts Brunsbüttel“, eines Spaßvereins mit ernsthaftem Hintergrund. Man sieht ihn mit seinen Vereinskameraden bei Ebbe im Watt Schlick in Dosen abfüllen. Er stellt dabei die nette Scherzfrage: „Was ist ein Kilowatt?“ Die Antwort, „zwei Pfund Schlick“, sei schon immer in den Köpfen der Küstenbewohner gewesen, werde aber jetzt vom Verein „umgesetzt“, komme jetzt also in Dosen. Der Spaß an der Blödelei hat natürlich auch ernsthafte Seiten, und die liegen unter anderem im Fördern des Naturschutzes. So versenkten beispielsweise Mitglieder des „Wattpsychologischen Instituts“ Anfang der 80er Jahre Nordseewatt in der Kieler Förde und holten es nach 24 Stunden wieder an die Wasseroberfläche, um es zu analysieren und zu zeigen, dass Nordseewatt in der Ostsee nicht „überlebensfähig“ sei. Mit Spaß und Unsinn wurde medienwirksam auf die bedrohliche Verschmutzung des baltischen Meeres hingewiesen. Dieses Vorgehen ist die Methode des Vereins, Öffentlichkeitsarbeit mit origineller Comedy zu verbinden und somit aufzufallen.

Den Höhepunkt dieses Vereinstreibens kann man alljährlich bei der so genannten „Watt-Olümpiade“ erleben, die seit 2004 an einem Sommerwochenende im Elbwatt vor Brunsbüttel ausgetragen wird. Disziplinen sind z. B. ein Aalstaffel-Lauf, Gummistiefel-Weitwurf, Watt-Tennis, Watt-Hand- und Fußball, an denen Hunderte von Athleten aus ganz Deutschland und z. B. auch aus dem Baltikum teilnehmen. Dank des Einsatzes und der Beharrlichkeit der Organisatoren und des finanziellen und ideellen Mitwirkens von Sponsoren hat sich dieser Wettkampf zu einem veritablen und kuriosen Fremdenverkehrsspektakel für die Stadt Brunsbüttel und Umgebung entwickelt. Verbunden wird der Spaß mit dem Sammeln von Spenden für Beratungsstellen für Krebskranke, was seinen Ursprung in der überstandenen Krebserkrankung des Mitbegründers Jens Rusche hat. 2002 war dieser an Krebs erkrankt und nach vielen Operationen und langwieriger Therapie geheilt worden. Während dieser Zeit wuchs in ihm der Gedanke, dass sich seine alte Idee von einer „Watt-Olümpiade“ vielleicht doch realisieren ließe, wenn man sie mit einem guten Zweck, hier der Krebshilfe, verbinden würde.

Müllers Film nutzt geschickt die Plattform der Watt-Olümpiade, um rund um das Porträt von Jens Rusche ein Kaleidoskop der Beteiligten zu entwerfen, sie mit ihren Meinungen über die Veranstaltung ins Bild zu setzen. Veranstalter, Athleten (hier auch „Wattlets“ genannt), Besucher, Sponsoren, alle kommen sie zu Wort. Benefiz- und Spaßgedanke laufen Hand in Hand; das wird im Film immer wieder deutlich. Müller gelingt es, Rusche als offenen, nachdenklichen Menschen und Künstler zu zeigen, der selten ein Blatt vor den Mund nimmt, auch immer einen Scherz oder Kalauer parat hat, was aber nicht über die Ernsthaftigkeit seiner Intentionen hinwegtäuscht. Ein „kreativer Anarchist“, der mit Ebbe und Flut auch im Leben zu leben gelernt hat, für seine Umwelt in seiner direkten Redselig- und Ehrlichkeit nicht immer leicht zu ertragen, ohne den es aber die Watt-Olümpiade und vielleicht auch das „Wattpsychologische Institut“ nicht geben würde und der am Ende der vierten, erfolgreich durchgeführten Veranstaltung in Ruhe vor der Kamera darüber laut nachdenken kann, allmählich aus der ersten Reihe der Organisatoren dieses sinnvollen „Unsinns“ zurückzutreten und Jüngeren das Feld zu überlassen.



Mutig sind die schmutzigen Wettbewerbe von den Kameraleuten, zum Teil mitten im Dreck spritzenden Getümmel der Mannschaftssportarten, festgehalten worden. Einer der Organisatoren spricht im Vorfeld der Veranstaltung wieder vereinstypisch doppeldeutig davon, was die Leute sehen wollen: „richtig schutzigen, dreckigen Sport“. Rusche lobt die Inbrunst, mit der sich z. B. die Meldorfer Frauenmannschaft „Six Packs“, in dem Schlamm stürze. Die „Six Packs“ hatten sich als erste Mannschaft mit ausgefallenen „Trikots“ attraktiv und witzig kostümiert, um sich dann sehr bald im Verlauf der Wettkämpfe kräftig bis zur Unkenntlichkeit einzusudeln. Sie seien von Anfang an Vorreiter gewesen, berichtet Rusche. Und ein Mitglied dieser Mannschaft beichtet die Überwindung, die es manchmal kostet, sich in den kalten Matsch zu stürzen, wo das Watt, trotz aller Vorbereitung der „Wattlets“, dann doch mit einem mache, was es wolle.

Am Ende sind nicht nur die Sieger glücklich und erschöpft. Mann und Frau wissen, was sie geleistet haben. Ebenso die Zuschauer, die zu Tausenden für drei Euro Eintritt zum matschigen Spektakel strömen und sich prächtig zu unterhalten scheinen. Die Watt-Olümpier hatten auch bei der 4. Olümpiade Glück, der Wettergott zeigte ein Einsehen und ließ nach Regen verhangenen, tiefen Himmeln (an den Vortagen beim Aufbau der Tribünen und sonstiger Einrichtungen) die Sonne scheinen. Und auch der Bürgermeister von Brunsbüttel weiß am Wettbewerbssamstag, was er und seine Gemeinde an der Veranstaltung des für ihn so oft unbequemen Jens Rusche haben, und bekennt es Müller und seinem Team.

Frank. D. Müllers Film erzählt das alles wunderbar unaufgeregt und gelassen, so wie es einem gebürtigen Dithmarscher zusteht. Sein Film ist mit 87 Minuten etwas zu lang geworden, aber dennoch gut anzusehen und weiß zu gefallen. (Helmut Schulzeck)

„Meerkampf. Watt?“, D 2009, 87 Min., Buch, Regie: Frank D. Müller, Kamera: Holger Seidel (DOP), Matthias Zuber,
Schnitt: Ulrike Tortora, Frank D. Müller. Gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein und der ULR.